Sprache ist mehr als Grammatik
Sprache lebt in uns. Sie ist mehr als Grammatik, mehr als Vokabeln, mehr als Kommunikation. Sprache trägt Erinnerungen, Gefühle und Erfahrungen – und manchmal auch Brüche, Umwege oder Überraschungen. Wer eine Sprache lernt oder mehrere spricht, trägt diese Erfahrungen nicht nur im Kopf, sondern im ganzen Körper.
Viele Trainer:innen und Coaches kennen die Situation: Sobald es um Sprachbiografie oder „Lernen“ geht, bleiben die Antworten oft an der Oberfläche. „Ich habe Englisch in der Schule gelernt“, „Französisch nur zwei Jahre“ – nüchterne Angaben, die wenig über die persönliche Bedeutung einer Sprache verraten. Genau hier setzt die Methode Körperumriss an: Sie macht Unsichtbares sichtbar und eröffnet neue Gesprächsräume.
Die Körperumriss-Methode: So funktioniert’s
Sprachen verorten – ein kreativer Zugang
Die Aufgabe ist simpel: Teilnehmende zeichnen einen Körperumriss und tragen dort ein, wo ihre Sprachen wohnen. Manche beginnen beim Herzen, weil dort die Muttersprache sitzt. Andere platzieren eine Fremdsprache in den Füßen – „damit bin ich immer unterwegs“. Wieder andere schreiben Dialekte in die Hände, weil sie mit Großeltern, Nachbarn oder auf Märkten gesprochen wurden.
Das Faszinierende ist nicht die Zeichnung an sich, sondern das, was danach passiert. Plötzlich beginnen Gespräche über Reisen, Herkunft, Identität. Stille Teilnehmende öffnen sich, weil sie nicht direkt erzählen müssen, sondern zunächst zeigen können. Das Bild übernimmt die Funktion eines Türöffners – und macht den Austausch leichter.
Warum Sprachen im Körper verankert sind
Lernen ist verkörpert
Lernen geschieht auf mehreren Ebenen: kognitiv, emotional und körperlich. Unser Gehirn speichert Inhalte nachhaltiger, wenn sie mit Gefühlen verknüpft sind. Sprache, die nur über Grammatikregeln vermittelt wird, bleibt oft oberflächlich. Sprache, die mit Körper und Emotion verbunden ist, geht tiefer.
Wenn jemand Englisch in die Füße malt, aktiviert er eine Erinnerung: Flüge, Reisen, das Gefühl von Bewegung. Das limbische System erkennt diesen Kontext und signalisiert: Das ist wichtig, das bleibt. Neurodidaktisch betrachtet bedeutet das: Sprache wird nicht nur gelernt, sondern verkörpert.
Resonanz schaffen
Der Körperumriss hat noch eine andere Wirkung: Er schafft Resonanz. Die Teilnehmenden erkennen ihre eigene Sprachbiografie auf eine neue Weise. Implizites Wissen – „ich spreche eigentlich viele Dialekte“ – wird explizit sichtbar. Gleichzeitig entsteht Resonanz in der Gruppe: Unterschiedliche Erfahrungen werden geteilt, Gemeinsamkeiten entdeckt.
Erfahrungsberichte aus der Praxis
Oft entsteht eine besondere Dynamik: Jemand, der sonst wenig spricht, überrascht mit einem farbigen Körper voller Sprachen. Die Gruppe reagiert erstaunt, interessiert, wertschätzend. In diesem Moment wird deutlich: Lernen ist nicht nur Aneignung von Wissen, sondern auch ein soziales Ereignis, das Identität und Gemeinschaft formt.
Manchmal erfüllt sofort ein lebendiges Gespräch den Raum, manchmal bleibt es still. Beides ist wertvoll. Stille bedeutet nicht, dass nichts passiert – oft wirkt die Reflexion nach. Deshalb lohnt es sich, die Methode auch in einem anderen Kurs erneut anzubieten.
Körperumriss in der Praxis
-
Dauer: 10–15 Minuten
-
Material: Papier & Stifte
-
Sozialform: Partnerarbeit, Gruppe oder Plenum
Schritt-für-Schritt-Anleitung
-
Körperumriss zeichnen lassen.
-
Sprachen im Körper verorten (Muttersprache, erste Fremdsprache, Dialekte …).
-
Austausch in Partnerarbeit oder Plenum: Wo sitzt welche Sprache – und warum?
-
Ergebnisse im Plenum teilen oder still wirken lassen.
Didaktische Essenz
Der Körperumriss ist mehr als ein Tool – er ist ein Resonanzangebot. Er verbindet Sprache mit Körper, Gefühl und Identität. Er macht sichtbar, was sonst verborgen bleibt, und öffnet einen Raum, in dem Lernen als gelebte Erfahrung erfahrbar wird.
In einer Zeit, in der Lernprozesse oft auf Leistung und Messbarkeit reduziert werden, erinnert uns diese Übung daran: Sprache ist Beziehung. Sprache ist Bewegung. Sprache ist Verkörperung.
Download-Vorlage: Körperumriss-PDF
Damit Sie die Methode direkt einsetzen können, haben wir eine einfache Vorlage vorbereitet. Drucken Sie den Körperumriss aus und nutzen Sie ihn in Ihrem Training oder Coaching.
Wenn Sie weitere kreative Ideen suchen, lohnt sich auch ein Blick auf den Einsatz von Podcasts im Unterricht.
Wie können Podcasts den Unterricht spannender und moderner machen?
Im Didaktik Talk spreche ich mit Kathrin Peterseim darüber, wie Sie Podcasts kreativ einsetzen können – egal ob im Sprachunterricht, in Geschichte oder anderen Fächern.
Zum Video über Podcasts im Unterricht
In einer anderen Folge spreche ich mit Ines Reimers darüber, wie empathisches Zuhören und bewusste Kommunikation unsere Beziehungen im Alltag und im Beruf nachhaltig verbessern können.
Zur Episode mit Ines Reimers